Nachhaltige Forstwirtschaft vor hundert Jahren
Wenn der Mensch die Landschaft einseitig verändert, wird sie anfällig auf Naturkatastrophen. Die Folgen davon bekam die Bevölkerung hierzulande bereits im 19. Jahrhundert zu spüren: Damals war die Forstwirtschaft im Kanton Nidwalden nur wenig reguliert, was zu einer systematischen Abholzung der Wälder führte. Durch diesen Eingriff in den Naturraum wurden jedoch zunehmend auch Erosionen und Flussüberschwemmungen hervorgerufen. Welche Massnahmen gegen diese Gefahren ergriffen wurden, soll der vorliegende Beitrag näher beleuchten.
Im Staatsarchiv Nidwalden befindet sich ein umfangreicher Bestand zur Wald- und Forstgeschichte des Kantons. Dazu gehören beispielsweise die Jahresberichte des Oberförsters, aber auch die jährlichen Rapporte der Revierförster oder die Wirtschaftspläne der verschiedenen Nidwaldner Korporationen.
Aufschlussreich sind die Dokumentationen über diverse Aufforstungs- und Verbauungsprojekte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, denn diese Projekte zählen zu den ersten Massnahmen des Kantons seit dem Inkrafttreten des Eidg. Forstpolizeigesetzes im Jahr 1876.
Vor 1876 wurden die Wälder abgeholzt und kahlgeschlagen
Nidwalden gehörte zu denjenigen Kantonen der Schweiz, die das Forstwesen vor der Einführung des Eidg. Forstpolizeigesetzes von 1876 kaum reguliert hatten. Holz war bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der wichtigsten Rohstoffe für die Gesellschaft und wurde im Gewerbe, in der Industrie, aber auch im Haushalt stets benötigt.
Der immense Bedarf an Bau- und Brennholz trug seit dem 18. Jahrhundert dazu bei, dass die Wälder – nicht nur in Nidwalden, sondern vielerorts in der Schweiz – übernutzt und grösstenteils kahlgeschlagen waren. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die meisten Wälder der Schweiz in einem schlechten Zustand.
Die grossen Überschwemmungen im Mittelland und im Alpenraum zwischen 1834 und 1868 führten zu einer neuen Betrachtungsweise unter den Forstleuten. Sie vermuteten, dass der Mensch – indem er die Wälder übernutzt – die Landschaft ihrer natürlichen Schutzfunktionen beraubt und dass letztlich die Entwaldung die Ursache für die meisten Naturkatastrophen wäre.
Ein Aufforstungs- und Verbauungsprojekt in Beckenried als Fallbeispiel
Infolgedessen wurde schweizweit eine verbesserte Forstwirtschaft und Waldnutzung im Sinne der Nachhaltigkeit angestrebt, wobei das Eidg. Forstpolizeigesetz von 1876 die Kantone dazu verpflichtete, die Wälder zu pflegen. In diesem Zusammenhang subventionierte der Bund zahlreiche Aufforstungsprojekte, aber auch Wildbachverbauungen.
Erste umfassende Aufforstungs- und Verbauungsprojekte im Kanton Nidwalden fanden in der Gemeinde Beckenried statt: Der Lielibach, mit Ursprung am Westhang des Schwalmis und Einmündung in den südlichen Vierwaldstädtersee, war einer der gefährlichen Beckenrieder Wildbäche. Zwischen 1884 und 1917 wurde er daher massiv verbaut und die Landschaft in seinem Einzugsgebiet beträchtlich aufgeforstet.
Die überlieferten Abrechnungen vermitteln eine ungefähre Vorstellung davon, wie aufwändig das Projekt war: In den Jahren 1884 und 1885 wurden insgesamt rund 100'000 Franken dafür ausgegeben; davon entfielen allein rund 20'000 Franken auf reine «Erdarbeiten». Anhand dessen lässt sich etwa erahnen, wieviel Handarbeit damals für Vorgänge notwendig war, die heute grösstenteils mit Maschinen ausgeführt werden. Auch die Kosten waren gewaltig und solche Projekte nur dank massiven Bundessubventionen überhaupt realisierbar. Zum Vergleich: Die gesamten Netto-Staatsausgaben des Kantons Nidwalden betrugen im Jahr 1885 gemäss Staatsrechnung rund 121'500 Franken.
Zunächst wurde der Lielibach entlang fast des gesamten Flusslaufs vertieft, sodass sein Bett auch heute noch eine tief eingeschnittene Rinne bildet. Die Uferseiten wurden an zahlreichen Stellen mit Wehrmauern aus Stein gesichert, um das Risiko einer Überschwemmung zu minimieren. Darüber hinaus wurde das Einzugsgebiet des gesamten Bachufers systematisch entwässert. Dafür wurde ein ganzes Netzwerk an sogenannten Sickerdohlen oder -gräben (mit oder ohne «Holzkennel» am Grund) angelegt, über die das Wasser versickern und abfliessen konnte. Doch erst die Wiederaufforstung und das Anpflanzen von jungen Baumsetzlingen konnte den Boden wirksam vor weiteren Erosionen schützen.
Ab den 1890er-Jahren wurden auch die anderen Wildbäche in Beckenried verbaut und ihr Einzugsgebiet entwässert und aufgeforstet – immerhin handelte es sich dabei um eine Gesamtfläche von rund 54 Hektaren, die so in dieser Gemeinde wieder aufgeforstet wurden. Parallel zu den Arbeiten in Beckenried wurden auch die Wildbäche in Buochs, Dallenwil und Hergiswil verbaut. Grosse Investitionen wurden getätigt – und werden dies bis heute, denn die Hochwassergefahr hat gerade in den letzten Jahrzehnten nicht abgenommen.
Sven Wahrenberger