Was machst du gern – was willst du werden? Aus den Anfängen der Nidwaldner Berufsberatung

1945 wurde die Nidwaldner Zentralstelle für Berufsberatung eröffnet. Anfänglich arbeitete die Vermittlungsinstanz zwischen Schule und Arbeitswelt, Lehrbetrieb und Elternhaus auf bildungspolitisch steinigem Gebiet. Mit der Zunahme der Lehrstellen und Ausbildungsangebote wurden die Dienstleistungen professionalisiert. Lange unhinterfragt blieb allerdings, dass Berufe ein Geschlecht haben.

Eignungstest 1956
Gutachten und standardisiertes Testmaterial aus der Berufsberatung für junge Frauen. Falldossier eines vom kantonalen Jugendamt durchgeführten Berufsberatungsgesprächs, Mitte der 1950er-Jahre. Die Personendaten wurden anonymisiert. (Staatsarchiv Nidwalden, D 1602-3)

«Das Amt des Berufsberaters ist ein undankbares Amt», bemerkte der erste kantonale Berufsberater in seinem zweiten Tätigkeitsbericht über das Jahr 1946. Viele jugendliche Berufswünsche könnten leider nicht erfüllt werden – weil die Bildung der Nidwaldner Schulabgänger und Schulabgängerinnen den beruflichen Anforderungen nicht genüge, weil der Wunschberuf im Kanton gar nicht vertreten sei oder weil ausserhalb des Kantons zu wenig Lehrstellen mit Kost und Logis angeboten würden. Tatsächlich arbeitete die 1945 eröffnete Zentralstelle für Berufsberatung anfänglich auf steinigem Gebiet. Nidwalden war damals der weit und breit einzige Kanton, der sich mit einer obligatorischen Grundbildung von sechs Jahren Primarschule zufriedengab – 1947 wurde immerhin das 7. Schuljahr eingeführt und erst 1972 wurde eine allgemeine Schulpflicht von acht Jahren obligatorisch.

Im Handwerk und Gewerbe, in den wenigen Industriebetrieben wie auch in der Landwirtschaft arbeitete ein Grossteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Zweiten Weltkrieg «ungelernt», das heisst ohne anerkannten Ausbildungsabschluss. Das Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung von 1930 hatte zwar auch in Nidwalden eine Reorganisation der Berufsbildung angestossen. Das Lehrverhältnis wurde neu durch einen standardisierten Vertrag geregelt, die Qualität der Ausbildung mit Zwischen- und Abschlussprüfungen überwacht. Die Umsetzung der eidgenössischen Vorschriften ging allerdings recht zögerlich voran. So machte die Aufwertung des beruflichen Unterrichts als Bestandteil von Lehre und Arbeitszeit den altgedienten Lehrmeistern «etwas zu schaffen», wie Josef Stählin, Gewerbelehrer und langjähriger Vorsteher des kantonalen Lehrlingsamts, 1955 in einem Rückblick auf 100 Jahre berufliches Bildungswesen in Nidwalden schrieb.

Auch die vom Bund geforderte vollständige Zentralisierung des gewerblichen Unterrichts in der Berufsschule Stans liess auf sich warten. Mit den wenigen Lehrstellen, die Nidwalden zu bieten hatte, konnten keine reinen Berufsklassen gebildete werden. Die Auszubildenden wurden in die Gruppen «Bauhandwerker», «Metallbranche», «weibliche Berufe» und «verschiedene Berufe» eingeteilt. Einen Wachstumsschub brachte die kriegsbedingte Verlegung der Werkstätten der Direktion für Miltärflugplätze DMP nach Buochs und die zeitgleich gegründete Flugzeugfabrik Pilatus AG. Für die Mechaniker- und Maschinenzeichnerlehrlinge der Flugbranche wurde ab 1941 eine Fachklasse geführt. Die beiden Aviatik-Unternehmen stellten Lehrpersonen für den berufskundlichen Unterricht zur Verfügung. Die begehrten Lehrstellen – 8 bis 12 pro Jahr – wurden allerdings oft unter der Hand vergeben und so hatte die kantonale Berufsberatung bis zum wirtschaftlichen Aufschwung der 1960er-Jahre mit einer Diskrepanz von Angebot und Nachfrage zu kämpfen.

Wie die neu erschlossenen Akten aus der Gründungszeit der Nidwaldner Berufsberatung zeigen, kam der beratenden Dienstleistung bei der Professionalisierung der Berufsbildung eine wichtige Rolle zu. Als engagierte Vermittlungsinstanzen zwischen Schule und Arbeitswelt, Lehrbetrieb und Elternhaus trieben die vom Bund subventionierten Berufsberatungsstellen den gesellschaftlichen Wandel aktiv voran. Nicht nur die Lehrmeister mussten auf Kurs gebracht werden. Beratung brauchten auch die Eltern, die oft «vergessen, dass Raten nicht Überreden, sondern Wegweisen ist», wie der Primarlehrer, Mundartdichter und langjährige Nidwaldner Berufsberater Walter Käslin im Jahresbericht von 1952 schreibt: «Sie sehen zu oft im Beruf die Erwerbsquelle und nicht die Lebensaufgabe und raten zu sogenannt ‘bessern’ Berufen, meist ohne weder Neigung noch Eignung des Buben zu kennen.»

Verstand sich die Berufsberatung anfänglich noch als Rekrutierungsinstanz für den Arbeitsmarkt, so verschob sich der Fokus der Beratungstätigkeit ab den 1950er-Jahren hin zur Befähigung der Ratsuchenden, im wachsenden Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten eine Berufswahl selbstständig zu treffen. Die Berufsberatungsstellen stellten allgemeine Informationen bereit, führten Elternveranstaltungen und Klassenbesprechungen durch, organisierten Betriebsbesichtigungen und bauten umfassende Dokumentationen auf. Zudem boten sie individuelle Einzelberatungen an, in denen mit standardisierten Tests und den psychotechnischen Methoden der Zeit die Eignungen und Neigungen der Jugendlichen eruiert wurden.

Bis 1971 wurde die Nidwaldner Berufsberatung nebenamtlich und geschlechtergetrennt betrieben: Der kantonale Berufsberater empfing die männlichen Schulabgänger in seiner Privatwohnung oder bestellte sie ins Sitzungszimmer des Knabenschulhauses in Stans. Weibliche Ratsuchende wurden von der Stelleninhaberin des kantonalen Jugendamts betreut, die gleichzeitig die Stellenvermittlung und Welschlandplatzierung junger katholischer Frauen organisierte und für die Pflegekinderfürsorge zuständig war. Während mehr als zwei Jahrzehnten wurde diese Aufgabe von der diplomierten Fürsorgerin Seraphina Weibel wahrgenommen, die sich energisch für die «Gleichberechtigung» der Mädchen bei der Berufsbildung einsetzte. Das hiess damals in erster Linie, dass Mädchen überhaupt Zugang zu einer beruflichen Ausbildung erhielten. Die Meinung, dass Frauen sowieso heiraten und deshalb keinen Beruf erlernen mussten, war in der Gesellschaft noch weit verbreitet. Mit dem Bezug offizieller Räumlichkeiten im Berufsschulhaus Stans wurden die geschlechtergetrennten Abteilungen zusammengelegt. Wie sehr die Berufswahl und das Beratungsangebot von traditionellen Geschlechterrollen geprägt war, blieb allerdings noch lange unhinterfragt.

Monika Burri

Tätigkeitenliste 1956
«Mit grosser Hingabe … abfüllen, abstauben, abstecken»? Satzergänzungen und Tätigkeitenliste aus einem weiblichen Berufsberatungsgespräch, Mitte der 1950er-Jahre. Die Personendaten wurden anonymisiert. (Staatsarchiv Nidwalden, D 1602-3) 
 
Strukutr-Neigungstest-für Knaben 1977

«Dominierend, berechnend, sich bewegend»: Neigungs-Struktur-Test für Knaben, Fallabklärung der Zentralstelle für Berufsberatung Nidwalden 1977. Die Personendaten wurden anonymisiert. (Staatsarchiv Nidwalden, D 1602-3)
Akten Berufsberatung
Jahresberichte, Statistiken, Mitteilungsblätter: Durch die Nacherschliessung im Staatsarchiv Nidwalden wurden zentrale Publikationen und Aktenserien aus der Gründungszeit der Zentralstelle für Berufsberatung zugänglich gemacht. (Staatsarchiv Nidwalden, D 1602-1/2; D 1602-4/1)Ü 
Berufskarte NW 1984
Wege aufzeigen, Orientierung bieten: Informationsblatt der Zentralstelle für Berufsberatung Nidwalden, produziert für die Berufsmesse Nidwaldä '84 (Staatsarchiv Nidwalden, D 1602-4/4)