Aktionswoche gegen Rassismus
Living Library – Rassismuserfahrungen im Gespräch
Rund um den Tag gegen Rassismus (21. März) finden unterschiedliche Aktionen und Veranstaltungen in mehreren Kantonen in der Schweiz statt. Die Kantone Obwalden und Nidwalden organisieren in diesem Jahr je eine Living Library in Zusammenarbeit mit Gudrun Sachse (Journalistin) in Sarnen und Stans.
Bei einer Living Library können die Besucherinnen und Besucher "lebendige Bücher" für ein Gespräch ausleihen. Die «lebendigen Bücher» sind Personen, die aufgrund ihrer Ethnie, Sprache, Hautfarbe, Religion oder ihrer Herkunft diskriminiert wurden. Sie berichten von ihren persönlichen Erfahrungen, beantworten Fragen und regen zum Nachdenken an. Die beiden Veranstaltungen sind kostenlos und finden jeweils in der Kantonsbibliothek statt. Zusätzlich können die Besucherinnen und Besucher bei Kaffee und Kuchen und unter Begleitung lokaler Vereine die Diskussionen vertiefen und weiterführen.
Living Library in Stans |
Living Library in Sarnen |
Für die Veranstaltung ist keine Anmeldung notwendig. Aus organisatorischen Gründen wäre es jedoch schön, wenn Sie uns Bescheid geben, ob Sie teilnehmen möchten und ob Sie direkt an der ersten Austauschrunde um 13:30 Uhr ein lebendiges Buch "ausleihen" möchten. Bitte melden Sie sich bei Andrea Würsch, andrea.wuersch@nw.ch.
Weitere Informationen zu den Veranstaltungen in den anderen Zentralschweizer Kantone entnehmen sie dem Flyer zur Woche gegen Rassismus.
Unterstützt wird die Veranstaltung von der nationalen Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB).
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Portraits der "lebendigen Bücher":
Ari, 23, Student an der PHZH mit jüdischem Glauben
«Man sieht mir meine Religion nicht an. Ich bin traditioneller Jude. Im Judentum gibt es unterschiedlichste Strömungen - von orthodox bis liberal, wo es auch Rabinerinnen gibt. Und doch werden alle Juden in einen Vorurteilstopf geworfen. Seit hunderten Jahren hält sich der Antisemitismus hartnäckig. Waren früher die Juden für die Pest beschuldigt, waren sie es jüngst bei Covid. Ich bin in Zürich geboren und in der Mitte meiner Ausbildung zum Sekundarlehrer an der PH in Zürich. Als ich letztes Jahr Stellvertretung an einer öffentlichen Schule in Zürich gab, sagte ich zu den Schülern: Ich habe einen jüdischen Gast für euch eingeladen, überlegt euch Fragen, die ihr ihm stellen möchtet. Dann ging es los, sie lachten und überlegten sich laut Fragen: wann der Jude das letzte Mal geduscht habe, wann er das letzte Mal Zug gefahren sei. Sie hatten ein Vorwissen über den Holocaust und verwendeten dieses für ihre Witze. Ich weiss gar nicht mehr, was ich dachte, ich war entsetzt. Ich sagte, ich gehe jetzt den Gast holen, dann kam ich zurück - ich war der Gast. Vielen war es unangenehm und sie entschuldigten sich, einigen war es aber egal. Das ist verstörend und darum ist es so wichtig, über das Judentum und all die Vorurteile zu sprechen.»
Kabitha, 20, Sri Lanka
«Ich bin in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Mein Vater kam mit 18 Jahren hierher. Momentan arbeite ich am Spital in der OP-Lagerungspflege und mache parallel dazu die Berufsmatura. Ich will Medizin studieren. Wegen meiner Hautfarbe wurde ich bereits in der Schule gehänselt. Ich war schüchtern und hatte hüftlange Haare - sie haben daran gezogen und mir gesagt, meine Hautfarbe sei wie Kot. Als ich später für die Spitex arbeitete, hat mich eine Patientin vor die Türe geschoben. Sie rief dann bei der Spitex an und fragte, was ihnen einfalle, eine Schwarze einzustellen. Oft wird mir gesagt, ich solle schätzen, dass ich diese Möglichkeit überhaupt bekomme, hier zu arbeiten. Mein Zuhause ist die Schweiz, ich spreche die Sprache, ich halte mich an die Regeln. Offenbar reicht das aber nicht. Ich will auch nicht vergessen, wo ich herkomme. Diese Kultur und Sitten sind mir auch wichtig.»
Jovanka, 45, Ex-Jugoslawien
«Ich kam mit 12 Jahren in die Schweiz. Meine Mutter hatte hier geheiratet. In der Kanti habe ich eine Klasse übersprungen. Meine introvertierte Art und meine Hochbegabung machten es für mich schwierig, Freunde zu finden. Ich galt als cool, aber unnahbar - wegen meiner Tattoos und Piercings. Freunde hatte ich allerdings nicht. Aus dem starken Wunsch, irgendwo dazu zu gehören, schloss ich mich einer Rechtsextremen-Gruppierung an. Als es dann aber gewalttätig wurde, trat ich aus. Ich habe nichts gegen Ausländer, ich wollte einfach irgendwo Anschluss finden. Mich kann man bis heute nicht "einordnen». Meine Heimat gibt es so nicht mehr und ganz Schweizerin bin ich auch nicht. Ich weiss was bedeutet Vorurteile zu haben und selbst Vorurteilen ausgesetzt zu sein. Darum ist es wichtig, darüber zu reden. Heute habe ich, neben meiner Berufstätigkeit, einen Verein gegründet, der sich der Förderung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund und der sozialen Unterstützung von Frauen widmet.»
Fartun, 32, Somalia
«Ich kam mit meinem damaligen Mann in die Schweiz. Ich wusste nichts über das Leben hier und verstand auch kein Wort. Er sagte mir, was ich zu tun hatte, ich tat es. Zum Beispiel gab er mir auch Dokumente zum Unterschreiben. Wenn ich fragte, worum es ging, sagte er, ich müsse unterschreiben, das sei wichtig, sonst würde ich ohne unsere Kinder ausgewiesen. Das war sein Argument für Vieles. Nach sieben Jahren Ehe und drei gemeinsamen Kindern, verliess er uns. Ich war zuerst sehr orientierungslos, ich hatte kein Ziel, keinen Plan. Ich merkte, dass ich dies - auch für meine Kinder - ändern muss. Mittlerweile arbeite ich am Niveau B2 in Deutsch. Nächstes Jahr will ich die Ausbildung zur Pflegerin absolvieren. Ich koche und verkaufe somalische Speisen. Ich möchte einmal eine soziale Stelle ins Leben rufen, die Frauen wie mir hilft, das Leben hier zu verstehen. Zum Beispiel die Sache mit den Terminen: In meiner Kultur ist es so, dass man um 9 Uhr abmacht, aber vielleicht auch erst um 10 Uhr erscheint. Das geht hier nicht. Aber das wusste ich nicht.»
Zugehörige Objekte
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