Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen werden aufgearbeitet
Gemeinsam mit den Politischen Gemeinden und den Landeskirchen strebt der Nidwaldner Regierungsrat die wissenschaftliche Untersuchung von Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 im eigenen Kanton an. Am Ende soll eine Publikation zum Thema veröffentlicht werden. Für die Aufarbeitung und das Werk werden dem Landrat 310'000 Franken beantragt.
Seit geraumer Zeit sorgen fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen, die vor 1981 von Behörden oder Privaten veranlasst wurden, in der ganzen Schweiz für politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussionen. Die Massnahmen wurden oft gegen den Willen der Betroffenen angeordnet, ohne dass diesen ein Rechtsmittel zugestanden wurde. Viele Betroffene leiden heute noch unter der erfahrenen Ungerechtigkeit und unter der oft schlechten Behandlung in Heimen, Anstalten oder fremden Familien.
Das 2017 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Aufarbeitung der Fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 bezweckt die Anerkennung und Wiedergutmachung des Unrechts, das den Opfern widerfahren ist. Bereits sind mehrere Forschungsprojekte zu diesem unrühmlichen Kapitel der Schweizer Geschichte durchgeführt oder zumindest initiiert worden. Im Kanton Nidwalden ist das Thema bisher noch nicht systematisch untersucht worden, auch nicht in nationalen Projekten. Anhand von Gesuchen für die Einsicht in betreffende Dossiers im Staatsarchiv Nidwalden, die mehrere, zum Teil drastische Einzelschicksale beinhalten, sind eindeutige Hinweise vorhanden, dass es auch in Nidwalden bei fürsorgerischen Zwangsmassnahmen vermehrt zu Missbrauch und Gewalt gekommen ist.
Ein Zeichen, damit sich solches Leid nicht wiederholt
Zusammen mit den Politischen Gemeinden und den Landeskirchen will der Regierungsrat die Geschehnisse vor 1981 ebenfalls aufarbeiten lassen und so ein Zeichen der Erinnerung setzen. «Dieses Zeichen soll dazu beitragen, dass das erlittene Leid im Bewusstsein der Öffentlichkeit bleibt und sich solches Unrecht nicht wiederholt», betont Gesundheits- und Sozialdirektorin Michèle Blöchliger. Es wird eine fundierte historische Aufarbeitung angestrebt, die das Thema wissenschaftlich beleuchtet und Betroffene zu Wort kommen lässt. Als Resultat daraus ist eine Publikation geplant, die von unabhängigen Personen erarbeitet wird, sich in erster Linie an ein regionales Publikum richtet und zügig – solange die Betroffenen noch leben – herausgegeben werden soll. Ziel ist es, die Publikation im Verlauf von 2024 zu veröffentlichen. Der Druck und der Vertrieb werden Sache des herausgebenden Verlags sein.
Für die geschichtliche Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen wird von Kosten im Gesamtumfang von 360'000 Franken ausgegangen. Der Regierungsrat hat bereits 50'000 Franken aus dem Fonds «Alkoholzehntel» gesprochen. Die verbleibenden Kosten von 310'000 Franken werden dem Landrat als Objektkredit beantragt. «Die Aufarbeitung und das geplante Werk werden von dauerndem Wert sein. Natürlich besteht die Hoffnung, dass die Publikation eine wichtige Grundlage sein wird für eine breite, öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema», hält Michèle Blöchliger fest.
Den grössten Anteil der Kosten, rund 300'000 Franken, machen die Forschungsarbeiten aus. Zur Nutzung eines wissenschaftlichen Netzwerks ist die Ansiedelung des Forschungsprojekts an einer Universität von unschätzbarem Vorteil. Für das Nidwaldner Projekt liegt ein Angebot der Uni Bern vor. Das Forschungsprojekt wird durch den Kanton gesteuert und durch die Gesundheits- und Sozialdirektion und das Staatsarchiv fachlich begleitet.
Die Politischen Gemeinden werden sich mit total rund 96'000 Franken an den Kosten beteiligen. Die einzelnen Beschlüsse sind in den jeweiligen Gemeinderatsgremien gefällt worden. Auch die katholische Kirche und die evangelisch-reformierte Kirche haben signalisiert, einen Beitrag an das Projekt zu sprechen – dies unter Vorbehalt der Genehmigung des Budgets durch die jeweilige Versammlung im kommenden Herbst.
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