Von Schuldnern und Gläubigern – die Gültenbereinigung in Nidwalden im 19. Jh.

Ein Vorläufer der modernen Hypothek war die sogenannte Gült. Diese war früher in der Schweiz weit verbreitet und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine übliche Form von Darlehen. Auch in Nidwalden hatten Gülten eine lange Tradition, welche sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt.

Abb. 1: Truckligült vom 14. September 1667 (Abschrift vom 24. Mai 1673). Der Textinhalt dieses Dokuments regelt die Rechte und Pflichten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger (StANW D 1537-3/1).
Abb. 1: Truckligült vom 14. September 1667 (Abschrift vom 24. Mai 1673). Der Textinhalt dieses Dokuments regelt die Rechte und Pflichten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger (StANW D 1537-3/1).

Über die Funktion der Gültbriefe und Gültprotokolle in früheren Zeiten

Der Geldverleih und das Zinsgeschäft in Westeuropa wurden über Jahrhunderte hinweg durch das kirchliche Zinsverbot (biblisches Verbot des Wuchers) eingeschränkt. Um dieses Hindernis zu umgehen, wichen die Menschen auf das Grundpfandrecht und den Bodenkredit aus – darunter die in der Schweiz verbreitete Gült. Die Gült war eine Art Schuldbrief, durch die der Schuldner ein Darlehen auf seine Liegenschaft aufnahm, wobei diese wiederum dem Gläubiger als Sicherheit diente.

In Nidwalden sind die Gültbriefe seit 1598 in den obrigkeitlichen Gültprotokollen vermerkt, welche sich im Staatsarchiv befinden. Dabei handelt es sich um mehrere in Leder gebundene Bücher, worin die wichtigsten Angaben aller Gülten aus Nidwalden seit 1598 eingetragen wurden – meist der Name des Schuldners, die Bezeichnung des Unterpfandes (das heisst, der belehnten Liegenschaft) und die Höhe der Schuld. Ein Beispiel dafür ist die oben abgebildete Gült vom 14. September 1667:

Dem Wortlaut des Dokuments zufolge hat an diesem 14. September 1667 ein gewisser Hans Blättler bei seinem «lieben Bruoder» Melchior Würsch eine Schuldsumme in Höhe von tausend Pfund aufgenommen und diese auf sein «Haus und Hofstatt» in Buochs verschrieben; es handelt sich dabei um die Liegenschaft Unterbächli. Blättler verspricht, dafür jährlich fünfzig Pfund Zins – also 5% – bar an seinen Gläubiger zu zahlen. Als Stichtag für die Zinszahlung wird der Martinstag (11. November) bestimmt, zahlbar jeweils innert acht Tagen vorher oder nachher. «Martini» war der allgemein übliche Zinstermin.

Im Gültprotokoll (Band C) findet sich tatsächlich ein Vermerk dazu. Daraus geht interessanterweise hervor, dass Blättler an jenem 14. September 1667 nicht nur diese eine Gült erstellt, sondern auch noch weiteres Geld auf seine Liegenschaft aufgenommen hat. Jedenfalls belief sich gemäss dem Eintrag im Gültprotokoll die Gesamtschuld auf dem Haus Blättler in Buochs auf insgesamt nicht weniger als 5800 Pfund. Oft weist eine solch hohe Verschuldung auf den Neuerwerb der Liegenschaft hin – vergleichbar mit heutigen Hypotheken. Oder der Besitzer baute oder erweiterte seine Gebäude.

 

Gesetzliche Normen waren kaum vorhanden

Eine Besonderheit der Gültbriefe war, dass der Gläubiger sie in der Regel an jede beliebige Person weiterverkaufen und damit handeln konnte, wie mit einem Wertpapier. In der abgebildeten Gült von 1667 ist diese Regelung auch schriftlich fixiert: Demnach bekannte sich Hans Blättler nicht nur als Schuldner von Melchior Würsch, sondern von allen «Rechtsinnhabern dis Brieffs», also auch von allen rechtmässigen Inhabern dieser Gült.

Diese Regelung ermöglichte es, dass begüterte Personen Gültbriefe systematisch aufkaufen konnten. Dadurch sicherten diese sich das Recht auf die Einnahmen aus dem Zins sowie ggf. das Recht auf Rückforderung der verschriebenen Schuldsumme. Bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte der Gläubiger nicht nur die Liegenschaft als Sicherheit, sondern auch den Ertrag aus dem landwirtschaftlichen Betrieb derselben. Deshalb ist in Hans Blättlers Gült auch von «Bluomen» und «Vich» die Rede.

Insgesamt nahm die Gültsumme in der zweiten Hälfte des 17. und vor allem seit Beginn des 19. Jahrhunderts stark zu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts drängte sich dann immer mehr die Frage auf, ob Gülten und Kredite weiterhin wie Privatverträge gehandelt oder ob sie staatlich geregelt werden sollten. Deshalb erliess der Kanton Nidwalden am 27. April 1884 ein Gesetz betreffend Gültenbereinigung und Anlage eines Grundbuchs. Es sorgte für Rechtssicherheit – sowohl für die Liegenschaftsbesitzer als auch für deren Gläubiger.

 

Seit 1912 von der Hypothek verdrängt

Die Gültenbereinigungskommission hatte im neu angelegten Grundbuch sämtliche Gültbriefe und andere Pfandtitel einzutragen, die auf einer Liegenschaft in Nidwalden hafteten. Dafür wurden die Inhaber solcher Pfandtitel – also die Gläubiger – seit 1885 via Amtsblatt dazu aufgefordert, ihre Titel beim Landschreiber einzureichen. Bei Nichteingabe wurden die Pfandtitel später für ungültig erklärt. Die Hauptarbeit der Gültenbereinigungskommission dauerte im Wesentlichen von 1885 bis 1910, wobei im Verlauf dieser fünfundzwanzig Jahre nicht weniger als insgesamt 58'044 Pfandtitel aus ganz Nidwalden eingereicht wurden und im Rahmen der Erstellung des Grundbuchs bearbeitet werden mussten – dies geht aus einem offiziellen Bericht von 1912 hervor. Doch erst mit der Einführung des Zivilgesetzbuches (ZGB) ebenfalls um 1912 wurde das Grundpfandrecht schweizweit vereinheitlicht. In diesem Kontext wurde die frühere Gült von der heutigen Hypothek abgelöst.

Als wichtige Quelle entstanden in diesem Prozess die sogenannten «alten Grundbuchblätter». Diese enthalten interessante Informationen zu den einzelnen Liegenschaften wie frühere Besitzer, aber auch Angaben zu Dienstbarkeiten wie zum Beispiel Wegrechten. Die Grundbuchblätter wurden in den letzten Jahren vom Staatsarchiv digitalisiert und stehen nun der Öffentlichkeit online unter <https://archivverzeichnis.nw.ch/home/#/search?q=Grundbuchbl%C3%A4tter> zur Verfügung.

Sven Wahrenberger

Abb. 2: Das Gültprotokoll, Band C, enthält Vermerke zu den Gülten, die zwischen 1624 und 1668 entstanden (StANW A 1327/3).
Abb. 2: Das Gültprotokoll, Band C, enthält Vermerke zu den Gülten, die zwischen 1624 und 1668 entstanden (StANW A 1327/3).
Abb. 3: Das Foto zeigt exemplarisch zwei verschiedene Gültbriefe von 1862 und von 1896, die im Rahmen der Gültenbereinigung im Grundbuch eingetragen und später gelöscht wurden (StANW D 1537-3/2).
Abb. 3: Das Foto zeigt exemplarisch zwei verschiedene Gültbriefe von 1862 und von 1896, die im Rahmen der Gültenbereinigung im Grundbuch eingetragen und später gelöscht wurden (StANW D 1537-3/2).
Abb. 4: Ausschnitt aus dem alten Grundbuchblatt der Liegenschaft «GB 35 Buochs: Unter-Vorder-Bächli / Unterbächli».
Abb. 4: Ausschnitt aus dem alten Grundbuchblatt der Liegenschaft «GB 35 Buochs: Unter-Vorder-Bächli / Unterbächli». Die alten Grundbuchblätter wurden digitalisiert und sind auf der Website des Staatsarchivs unter <https://archivverzeichnis.nw.ch/home/#/search?q=Grundbuchbl%C3%A4tter> online zugänglich (StANW D 1524/46).